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Männer und Frauen reden oft aneinander vorbei – auch im Job

15.06.2020

AMC im Gespräch mit Barbara Materne

Ein Interview mit Kommunikationsexpertin Barbara Materne über Stereotype und den richtigen Ton in gemischten Teams der Versicherungswirtschaft.

Wie reden Menschen mit Menschen? Aneinander vorbei. Diese Beobachtung scheint für die Kommunikation zwischen Männern und Frauen bisweilen verschärft zu gelten – und das hat gerade im beruflichen Bereich Konsequenzen, wo gemischte Teams zum Alltag gehören. Auch Versicherer – geprägt von Nachwuchs- und Nachfolgesorgen – setzen darauf, Frauen vermehrt für Team- und Führungsaufgaben zu gewinnen.

4 Fragen an die Kommunikationsexpertin Barbara Materne:

AMC: Allein unter Männern: Bei Versicherern sind Frauen in der Chefetage noch immer die Ausnahme. Warum ist es aus Ihrer Sicht für Frauen so schwer in Führungspositionen der Branche zu gelangen und gleich gut bezahlt zu werden?

Barbara Materne: In meinen Augen sind hier vor allem zwei Punkte entscheidend:

1. Das verständliche menschliche Bedürfnis, sich mit Menschen zu umgeben, die einem ähnlich sind. Gemeinsamkeiten verbinden und ähnliche Werte, Vorstellungen und Herangehensweisen erleichtern die Zusammenarbeit. Dass eine rein männliche oder zumindest männlich dominierte Führungsriege sich bei der Neubesetzung einer Position daher an der Frage orientiert „Wer passt zu uns?“ und dann eher einen Mann als eine Frau ins Team holt, ist naheliegend, führt aber natürlich zu beruflichen Monokulturen. Gerade das kann man in der Versicherungswirtschaft gut beobachten…

2. Frauen trauen sich auch heute noch oft weniger zu und fordern weniger als Männer. Die Unternehmensberatung McKinsey stellt in ihren Studien regelmäßig fest, dass bereits Absolventinnen ein deutlich niedrigeres Jahresgehalt erwarten als ihre Kommilitonen mit gleicher Qualifikation. 2015 wurden Menschen im Rahmen einer anderen Untersuchung gefragt, ob sie sich selbst für ein Genie halten. Fast jeder siebte Mann bejahte das, aber nicht eine einzige Frau. Grund dafür sind Erziehung, Sozialisation und nach wie vor festsitzende Stereotype und das bedeutet: Frauen brauchen mehr Mut, aber auch mehr Bestärkung und Ermutigung.


AMC: Was sind die Top 3 wissenschaftlich belegter Aspekte, in denen sich die weibliche von der männlichen Kommunikation unterscheidet?

Barbara Materne: Es gilt zunächst zwischen Beziehungs- und Berichtsstil zu unterschieden, um die ausschließliche Zuschreibung auf Frauen und Männer aufzuheben und zu betonen, dass beide Formen von Männern UND Frauen genutzt werden – wenn auch unterschiedlich oft.

1. Unterschiede in der Körpersprache
Eine raumgreifende Körperhaltung und Gestik assoziieren wir mit Präsenz und Selbstbewusstsein. Die amerikanische Sozialpsychologien Amy Cuddy hat dafür den Begriff „High-Power Posen“ geprägt. Eine schmale, wenig Raum beanspruchende Körpersprache („Low-Power Pose“) kann dagegen unsicher und zurückhaltend wirken.

2. Unterschiede in der Formulierung
Berichtsstil vs. Beziehungsstil. Im ersten Fall ist die eindeutige, direkte und unmissverständliche Form oft verbunden mit einem klaren Aufforderungscharakter: „Sie rufen jetzt bitte direkt mal Herrn Becker an und erläutern ihm die Änderungen im Projekt Z.“ Das kann – je nach Kontext – ergebnisorientiert oder autoritär wirken.

Im Beziehungsstil klingt der Satz anders: „Mir wär's lieb, wenn Sie dann vielleicht noch mal den Herrn Becker anrufen könnten und mit ihm die Änderungen im Projekt Z besprechen.“ Das kann als unverbindlicher Vorschlag oder als kollegiale Kommunikation auf Augenhöhe verstanden werden.

3. Unterschiede in der Gesprächsarbeit
Menschen, die stark auf der Ebene der Beziehungssprache unterwegs sind, setzen verstärkt Fragetechniken ein („Was hältst Du davon?“ - „Passt das so für alle?“), um den Prozess der Meinungsbildung zu steuern, alle einzubeziehen und Ergebnisse gemeinsam zu erarbeiten. Soviel Gesprächsarbeit kann Menschen mit einem ausgeprägten Berichtsstil irritieren. Denn die sind auf das Vorantreiben des Themas fokussiert und gehen davon aus, dass jede und jeder für sich selbst sorgt und sich selbst positioniert.

Den richtigen Ton anzutrainieren ist auch keine Lösung
Regelmäßig ist die bestechend simple Forderung zu hören, dass Frauen sich doch für Führungssituationen eine direkte dominante Kommunikation antrainieren sollten. Andererseits sollten Männer darauf achten, dass sie bei Feedbackgesprächen empathisch vorgehen. Aber so einfach ist es nicht. Denn es kann herbe Nachteile haben, wenn Menschen nicht den stereotypen Erwartungen ihres Umfelds entsprechen.

„Es ist ein gängiges Klischee: Eine Frau, die durchgreift, gilt als aggressiv und unsympathisch.
Ein rücksichtsvoller und einfühlsamer Mann gilt als schwach.“


AMC: Sie sagen gemischte Teams sind erfolgreicher. Was brauchen gemischte Teams, um ihr volles Potenzial zu entfalten?

Barbara Materne: Gemischte Teams sind nicht nur erfolgreicher, sondern auch beliebter. Umfragen haben gezeigt, dass Männer und Frauen am liebsten in gemischten Teams arbeiten, weil sie das Arbeitsklima und den Umgangston dort angenehmer finden. Damit daraus tatsächlich eine Erfolgsgeschichte wird, braucht es dreierlei:

1. Die Überzeugung, dass Unterschiede und Diversität – vor allem angesichts diverser Zielgruppen - gut fürs Geschäft sind.
2. Eine lebendige und flexible Kommunikationskultur.
3. Die Einsicht, dass abhängig von der Situation und der Rolle der Beteiligten jeder Kommunikationsstil seine Berechtigung hat.

Welche Pose passt wann? Ein Beispiel:
In einer beruflichen Schlüsselsituation wie einem Vorstellungsgespräch, einer Kundenpräsentation oder einer Verhandlung, kann eine Low-Power Pose Chancen kosten. In einem Gespräch mit einem emotional belasteten Mitarbeiter wird eine High-Power Pose mein Gegenüber möglicherweise einschüchtern und den Aufbau eines vertrauensvollen Gesprächs erschweren.

„Es geht darum, sich von unbewussten Reflexen zu verabschieden.
Unser Kommunikationsverhalten ist erlernt und ich kann es nur durch meine bewusste Entscheidung verändern.
Genauso sollte ich mich von der Überzeugung trennen,
dass meine Art zu kommunizieren und die Dinge anzupacken, die allein Richtige ist.“


Selbstverständlich braucht es zusätzlich Auswahlprozesse, die gezielt danach schauen, welcher Erfahrungshintergrund und welche Kompetenzen in einem Team noch fehlen. Gerade hier können auch Versicherer sehr gut ansetzen, um ihre Teamstrukturen, vor allem auf den Entscheidungsebenen, nachhaltig zu verändern.


AMC: Was sind Ihre wichtigsten Tipps für Frauen, die in der Versicherungsbranche Karriere machen wollen?

Barbara Materne: Ich habe zwei Tipps, die Frauen besonders beherzigen sollten:

1. Frauen müssen mit ihren Leistungen und Stärken sichtbar werden, ihre Erfolge an prominenter Stelle geschickt einfließen lassen und sich aktiv profilieren. Frauen sollten viel öfter ihre Selbstzweifel für sich behalten und beherzt zugreifen, wenn ihnen ein wichtiger Posten angeboten wird.

Hintergrund: In mehreren Studien hat sich gezeigt, dass Frauen ihre Leistungen und ihre beruflichen Erfolge weit niedriger einschätzen als ihr Umfeld. Als Grund wird vermutet, dass es ihnen oft wichtig ist, Hierarchien zu nivellieren und sich nicht zu exponieren. Das ehrt sie in zwischenmenschlicher Hinsicht, ist im beruflichen Kontext aber natürlich kontraproduktiv.



„Ich erlebe das schon an der Hochschule: Studentinnen, denen ich eine Führungsaufgabe übertrage,
reagieren reflexhaft mit einem: „So was in der Form habe ich ja noch nie gemacht“
anstatt zu fragen, was die Aufgabe definiert und dann beherzt zuzugreifen.“


2. Frauen sollten sich unbedingt starke Netzwerke aufbauen. Für den beruflichen Aufstieg, für Einfluss und Status ist es vor allem wichtig, sich strategisch zu vernetzen und das bedeutet: Sich gemischte und vertikale Netzwerke zu suchen, um dort Bündnisse herzustellen und zu festigen.

„Frauen haben in meinen Augen großes Talent, tragfähige und langfristige Beziehungen zu pflegen.
Allerdings machen sie das oft ausschließlich mit Frauen und auf der gleichen Hierarchieebene.“

Und noch eine persönliche Anmerkung zum Ausklang: Für Frauen ist es oft ein wichtiges Kriterium, ob sie andere Menschen – vor allem Frauen – sympathisch finden. Ich kann beruflich aber auch eine Mitarbeiterin oder Kollegin fördern und unterstützen, mit der ich zwar nicht befreundet sein möchte, die aber einen erstklassigen Job macht. In diesem Sinne und mit den Worten der roten Zora: Frauen bildet Banden!

Barbara Materne ist Informationswissenschaftlerin und Kommunikationsexpertin. Mit den Herausforderungen und Chancen der geschlechtsspezifischen Kommunikation befasst sie sich, seit sie vor 14 Jahren das Zentrum für Gender Studies an der Universität Siegen mit aufbaute. Sie trainiert und berät Fach- und Führungskräfte – offline wie online - im Hinblick darauf, wie sie so selbstsicher auftreten und souverän kommunizieren, dass sie auch schwierige Situationen unerschütterlich im Griff haben. Außerdem hält sie Vorträge zu den Themen Diversity und Persönlichkeitsentwicklung.

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