Besser ANdERS! Menschen kann man nicht motivieren

05.01.2021

Markus_Kutrzeba

Unsere Beziehungen mit Kolleg*innen, Mitarbeiter*innen und Kunden verändern sich seit Beginn der Pandemie. Man sieht sich weniger persönlich, der unmittelbare Austausch auf Veranstaltungen oder in Meetings fehlt. Online geht zwar einiges, aber eben nicht alles. Das wirkt sich zwangsläufig auch auf die Gruppendynamik aus - und die Herausforderungen, die so entstehen, sind per Video nicht so einfach zu lösen, wie in einem persönlichen Gespräch.

Fach- und Führungskräfte brauchen aktuell mehr denn je ein praktisches Handwerkszeug, um mit der herausfordernden Situation besser klarzukommen. Wir haben mit Marcus Kutzreba gesprochen, der als Experte für Menschenkompetenz hervorsticht. Er gibt uns hilfreiche Antworten auf drängende Fragestellungen. In unserem Interview erfahren Sie mehr über den Columbo-Effekt, warum es nicht darum geht, das eigene Potential realistisch einzuschätzen und auch nicht darum, Menschen zu motivieren. Es muss also anders gehen.

AMC: Wie haben sich unsere Beziehungen zu Kolleg*innen, Mitarbeiter*innen und Kunden seit Beginn der Pandemie verändert?
Marcus Kutrzeba: Naja, entweder sind Beziehungen intensiver geworden, weil die Zusammenarbeit mehr geworden ist, oder aufgrund der Distanz befremdlicher. Ich weiß einfach so viel weniger von meinem Gegenüber, wenn es keine persönliche (u.U. auch nötige räumliche) Zusammenarbeit gibt. Der Träger der Information ist nun mal die Emotion. Aus Erfahrung fällt es vielen Angestellten in Firmen schwer, sich auf Menschen einzustellen, die sie nicht sehen und damit ganz wahrnehmen können. Das heißt, man interpretiert mehr, hat mehr Vorurteile und geht dadurch viele Irrwege, weil E-Mail als Kommunikationsmittel nichts taugt. Es ist ein sogenanntes Einweg-Kommunikationsmittel und als solches anfällig für Missverständnisse, Reibungen und Leerwege. Ich denke, Beziehungen unter solchen Umständen bergen die Gefahr, dass negative Gefühle und Emotionen aufkommen. Leider haben nur wenige von uns gelernt, mit solchen Emotionen und Konflikten gut umzugehen.

AMC: Wie motiviere ich als Versicherer meine Mitarbeiter*innen im Homeoffice – und wie bekomme ich mein Team ins Boot geholt?
Prinzipiell kann ich niemanden motivieren. Natürlich gibt sogenannte Hygienefaktoren und Möglichkeiten, das Arbeiten einfacher und bequemer zu machen. Aber Motivation von außen ist schon lange passé, weil es nur kurzfristig wirkt. Das Einzige was man in dieser Hinsicht machen kann - und das ist schon sehr viel -, dass ich meinem Gegenüber dabei helfe zu verstehen, „wer“ sie oder er ist, was für sie oder ihn wichtig ist, und vor allem: was ihr oder ihm Spaß macht. Das ist höchst individuell. Wenn ich jemandem jetzt derart behilflich sein kann, dann hebt das nicht nur die Motivation, sondern steigert langfristig sogar den Selbstwert dieser Person. Aufbauend auf solchen Gesprächen - nicht E-Mails(!) - können Maßnahmen definiert oder vereinbart werden, die dem Mitarbeiter/der Mitarbeiterin dienlich sind und auf sein / ihr „Selbstwert-Konto“ einzahlen. So entsteht Selbstvertrauen. Und wenn ich meinen Mitarbeitenden auch noch Vertrauen schenke und Verantwortung übertrage, dann entsteht Selbstsicherheit. Das ist das, was wir Menschen brauchen, um in Kontakt zu treten, um Entscheidungen zu treffen, um in Resonanz zu gehen und um Begeisterung zu erleben.

AMC: Warum sind Ziele noch keine Motivation? Und was braucht es stattdessen?
Ziele machen in jeder Hinsicht Druck! Aus meiner langjährigen Coaching-Tätigkeit weiß ich, dass weder selbst- noch fremdgesteckte Ziele irgendeinen Effekt auf die Leistung haben. Warum sollten sie auch, sobald ich das jeweilige Ziel erreicht habe, ist der ganze Zauber auch schon wieder vorbei. Wenn meine Tochter z.B. einen Turm baut und das Ziel erreicht (fertiger Turm), ist ihre unmittelbare Handlung, ihn wieder zu zerstören und von vorne zu beginnen. Warum? Weil der Prozess spannender ist als das Ergebnis! Ausgehend vom bekannten Konzept „Sein - Tun - Haben“, ist das TUN für uns Menschen das Lustbringende! Das heißt, sich Ziele zu stecken und zu erreichen ist schlicht und ergreifend langweilig. Also was tun? Anders denken und anders fokussieren lautet die Devise. Der Fokuspunkt in Richtung Potenzial ist spannender für jede Art der Handlung, als in Richtung eines Ziels. Welches Marktpotenzial, welches persönliche Potenzial ist möglich? Aber bitte nicht realistisch! Das steht in der falschen Management-Literatur. Woher soll ich denn wissen, was realistisch ist? Ich bin doch kein Prophet! Nur weil etwas in der Vergangenheit funktioniert hat, bedeutet das nicht, dass es heute oder in Zukunft genauso funktioniert. Ganz im Gegenteil, womöglich funktioniert mehr, viel mehr. Oder etwas ganz anderes?! Mein persönliches Potenzial, das ich selber definiere, ist mein persönlicher Antrieb. Und diese Flamme, diese Energie brennt auch nicht aus. Es sei denn, ich lüge mir selbst in die Tasche oder es passt, aus welchen Gründen auch immer, nicht zu mir. Sehr oft sitzen wir einem Irrglauben auf, und das ist dann eine gute Grundlage für Depression. Und Depression ist schlichtweg das Gegenteil von Motivation.

AMC: Brauchen wir in Zeiten von Corona andere Motivationsansätze? Und was bedeutet „anders“ beim Thema motivieren?
Niemand braucht irgendjemanden zu motivieren. Zu keiner Zeit. Es braucht auch keinen besonderen Ansatz dazu. Dafür sind wir Menschen zu individuell. Was wir ganz einfach brauchen, ist Kommunikation, in der es „menschelt“: zwischenmenschliche Interaktion, Beziehung, Verständnis, Empathie, Bedürfnisse, keine Regeln oder Methoden! Das kann auch digital funktionieren. Aber es muss authentisch und echt sein. Dann kann man sehr wohl Vertrauen aufbauen. Und das motiviert! Am Ende des Tages geht es darum, dass Menschen gerne arbeiten. Ja, sogar richtig Spaß an ihrer Tätigkeit haben. Dann ist (fast) alles möglich.

AMC: Sie sagen, Selbstsicherheit ist das, was Menschen am meisten brauchen, um kluge Entscheidungen zu treffen oder auch eine Krise zu meistern. Wie gewinnen Mitarbeiter diese Selbstsicherheit und was können Führungskräfte dazu beitragen?
Selbstsicherheit bedeutet, dass ich mir meiner Selbst zu 100% sicher bin. DAS wiederum bedingt, dass mir die Meinungen von meinem Umfeld gleichgültig sein müssen. Ich kann eine Meinung respektieren, muss sie aber in meinen Handlungen nicht berücksichtigen, v.a. dann, wenn ich überzeugt bin, dass ich das für mich Richtige tue und die für mich richtigen Entscheidungen treffe.

Führungskräfte können beim Reflektieren helfen, dass keine Diskrepanz herrscht zwischen Selbst- und Fremdbild. Laufendes Feedback, das heißt, Rückkopplung von Verhalten und damit einhergehende Verbesserungstipps sind entscheidend. Dann kann sich ein Mitarbeiter persönlich entwickeln. Viele Führungskräfte verwickeln sich aber auf dem Weg und biegen in einen Gedanken- oder Analyse-Wirrwarr ab, weil sie selbst nie die passende Führung erfahren haben. Führungsprinzipien wie Offenheit, Berechenbarkeit und Konsequenz sind absolut notwendig, um Menschen für sich und seine Ideen zu gewinnen. Feedback und Kritik sind Instrumente der Erfolgskontrolle und sollten ständig gelebt werden. Die zeitliche Komponente - ich meine Zeit als mangelnde Ressource -, ist der Faktor, der Führungskräfte in diesem Punkt am häufigsten scheitern lässt. Deshalb helfen wir in unseren Trainings immer zuerst Zeit zu schaffen, bevor wir über Führungsaufgaben sprechen. Zeit ist doch mehr wert als alles andere auf der Welt. Und nur wer sein Zeitmanagement für sich im Griff hat, kann Menschen gut begleiten!

AMC: Eine Frage hätten wir da noch: Was bitte ist der „Columbo-Effekt“, und wie lässt sich dieser erfolgreich nutzen?
Kennen Sie Inspektor Columbo? Er hat nach Verlassen des Tatortes bzw. nach seinen Verhören immer standardmäßig den Rückwärtsgang in seinem alten Wagen eingelegt und nochmals angeläutet, um DIE EINE Frage zu stellen. Das heißt, es darf einem nicht zu blöd sein, nochmals nachzufragen oder noch einen kreativen Gedanken zu präsentieren, wenn man eigentlich schon fertig ist. Inspektor Columbo war nichts zu peinlich, keine Frage zu indiskret (den richtigen Ton vorausgesetzt), keine Notiz und kein Anruf zu mühsam, um die Wahrheit ans Licht zu holen. Er hat ganz bewusst die Aufmerksamkeit nochmals auf sich gelenkt, wenn sich der mutmaßliche Mörder schon in Sicherheit wog.

Am Ende des Tages geht es in fast jedem Management-Job um 3 Dinge:

    1) Wie bekomme ich Aufmerksamkeit, 2) wie halte ich Aufmerksamkeit und 3) wie verwerte ich Aufmerksamkeit?
Am besten lässt sich der Columbo-Effekt nutzen durch ein Telefonat vor oder nach Terminen und Besprechungen. Das Gegenüber wird nicht nur (angenehm) überrascht sein, sondern auch aufmerksam darauf, dass Ihnen die Beziehung wichtig ist. Wer das rüberbringt, kann Menschen gut für sich und seine Ideen gewinnen. Das wünsche ich Ihnen von ganzem Herzen!

„Was du tust, tu ganz!“
Marcus Kutrzeba

Schon jetzt vormerken: Am 18.03.2021 von 09:00 - 12:00 Uhr findet der AMC-Praxisworkshop ANdERS motivieren!? als Online-Workshop statt. Weitere Infos und Anmeldung: www.amc-forum.de/?webcode=2336 Marcus Kutrzeba ist ehemaliger ATP Tennisprofi, Hochschullektor, Unternehmer sowie Trainer und Experte für Menschenkompetenz. marcuskutrzeba.com