Hänsel und Gretel mal anders: Über gutes Storytelling im Business

24.11.2020

Ein Interview mit der Storytelling-Expertin Petra Sammer.

Alles nur Geschichten, oder was?

Petra Sammer

Jeder liebt bekanntlich Geschichten! Schon früh haben Menschen angefangen sich Geschichten zu erzählen. Doch diese haben sich im Laufe der Zeit natürlich sehr verändert. Heute begegnen uns nicht mehr nur Hänsel, Gretel und Co, sondern auch Geschichten über Marken, Produkte und Services. Storytelling ist mehr als Gutenachtgeschichten und aus der Businesskommunikation kaum noch wegzudenken. Und dennoch: Fällt Ihnen spontan eine richtig gute Story aus Ihrem beruflichen Kontext ein?

Wenn es nicht allzu viele Beispiele sind, die sofort aufpoppen, so mag das vor allem daran liegen, dass es durchaus eine große Herausforderung ist, gute Geschichten im B2C-, B2B- oder B2B2C-Umfeld zu erzählen. Es ist nicht ganz ohne, aus Informationen eine gute Geschichte zu machen. Petra Sammer ist ausgewiesene Storytelling-Expertin und schult interessierte AMC-Netzwerk-Partner regelmäßig darin, Kunden für ihr Unternehmen zu begeistern. Wir haben einmal nachgehakt, worauf es dabei ankommt.

AMC: Frau Sammer, was ist die beste Business-Story, die Ihnen in letzter Zeit begegnet ist?>
Petra Sammer: Ich bin ein großer Fan der Geschichten, die Microsoft erzählt. Auf der Webseite „Microsoft Story Labs“ (https://news.microsoft.com/stories/) gibt es eine gute Mischung aus hausinternen Geschichten, Kundenbeispielen und Tech-Stories, die alle zeigen, wie überzeugend Storytelling auch im B2B-Bereich funktioniert. Die Professionalität dieses Storytellings ist auch kein Wunder, denn Microsoft hat einen eigenen Chief Storyteller, Steve Clayton, der die Kommunikation dieses Unternehmens mit seiner Storytelling-Philosophie maßgeblich beeinflusst. Hörenswert: der dmexo-Podcast mit Steve Clayton: dmexco.com/podcast/steve-clayton

AMC: Gibt es auch in der Versicherungs-Branche wirklich gute Stories? Haben Sie Beispiele für uns?
Petra Sammer: Hochemotional sind natürlich viele Stories, die aus den USA kommen, zum Beispiel von dem Rentenversicherer Prudential, die unter dem Stichwort „Chapter Two“, kleine Geschichten erzählen, wie Rentner ihr „zweites Kapitel“ aufschlagen und nach dem Job nochmals Neues lernen (https://www.facebook.com/watch/?v=1613299285451741) Sehr schön inszeniert finde ich auch die Story „Unten“ der schweizer Versicherung suva, die das Thema Arbeitsunfall bespielt und eine Story aus der „Unten-Perspektive“ eines Turnschuhs erzählt. (https://www.youtube.com/watch?v=qr_7Jjc_Og8)

AMC: Warum wirken gute Stories? Und worauf sollte man in seiner Storytelling-Strategie vor allem achten?
Petra Sammer: Die Menschheit erzählt sich seit 40.000 Jahren Geschichten. Daher sind wir mit dem Muster einer guten Story sehr vertraut und können uns daher Geschichten auch besser merken als Fakten und Daten. Neurowissenschaftler haben ausführlich untersucht, wie Geschichten im menschlichen Gehirn funktionieren. Eine ganz entscheidende Wirkung: Stories nehmen wir in beiden Gehirnhälften wahr, nicht nur in den Gehirnbereichen, die für Logik, Sprache und Daten verantwortlich sind. Geschichten sprechen auch unsere rechte Gehirnhälfte an, wo wir Emotionen verarbeiten. Daher fühlen wir mit Stories mit und tauchen in sie förmlich ein, wenn wir eine gute Geschichte hören oder sehen. Und genau diesen Effekt, diese Immersion, können wir in der Unternehmenskommunikation und im Marketing sehr gut nutzen. In einer Zeit, in der es so schwer ist, Aufmerksamkeit zu generieren, Konzentration und Interesse bei Kunden zu halten, sind wir immer auf der Suche nach neuen Wegen und Kommunikationstechniken. Storytelling kann dabei sehr hilfreich sein.

AMC: Hat jedes Unternehmen das Potenzial für gute Geschichten? Wo findet man denn die guten Stories im Unternehmen?
Petra Sammer: Grundsätzlich steckt in jedem Unternehmen Material, um daraus eine Story zu machen. Angefangen von der Historie einer Firma, die durchaus spannend sein kann, denn der „Geist der Gründung“ ist vielleicht bis heute tragfähig und gültig. Dann lohnt es sich, die eigenen Mitarbeiter und deren Motivation anzusehen. Auch hier stecken oft interessante Stories drin, gerade, wenn man den Mitarbeiter*innen Raum gibt, sich als Persönlichkeiten darzustellen. Und selbstverständlich sind auch die eigenen Kunden eine gute Quelle. Testimonial- und Kundenstories sind in der Versicherungsbranche ja durchaus üblich. Doch leider werden diese Kundenreferenzen selten als tatsächliche Story geschrieben. Meist wird der Kunde nur kurz genannt und dann springt der Text schnell zur Lösung und Darstellung der eigenen Leistungen. Um aus einem Schadensbericht oder Anwenderreport wirklich eine gute Geschichte zu machen, muss man sich Zeit lassen und den Protagonisten der Story, den Kunden ausführlich darstellen. Vor allem aber solle man sich Zeit lassen, um die Schwierigkeiten, vor denen der Kunde steht, darzustellen, anstatt sofort die Lösung ausführlich zu beschreiben. Spannung und Emotion einer Geschichte kommen nicht aus dem glücklichen Ende, sondern aus der emotionalen Reise im Mittelteil. Das sollten Storyteller in der Unternehmenskommunikation immer beherzigen.

„Spannung und Emotion einer Geschichte kommen nicht aus dem glücklichen Ende,
sondern aus der emotionalen Reise im Mittelteil.“

AMC: Viele Versicherer stehen noch am Anfang, wenn es darum geht, nicht die Marke und ihre Produkte in den Vordergrund zu stellen, sondern interessante Inhalte und Formate für sich sprechen zu lassen. Was glauben Sie, woran das liegt – und welche Empfehlungen möchten Sie ihnen mit auf den Weg geben?
Petra Sammer: Wichtig ist zunächst zu akzeptieren, dass Storytelling – also emotionale Kommunikation – kein Ersatz für rationale Kommunikation ist. Und es ist auch kein Allheilmittel, wie es oft dargestellt wird. Storytelling ist eine sehr sinnvolle Ergänzung der Gesamtkommunikation. Gute Geschichten wirken als Türöffner, sie sollen beim Kunden Interesse wecken, aber sie halten auch nicht alle Informationen bereit. Gerade in einer so faktenlastigen Branche, wie der Assekuranzbranche ist Storytelling eine ergänzende Kommunikationstechnik. Wer ganz frisch anfängt, dem rate ich zunächst kleine Mitarbeiterstories zu erzählen und diese in internen Kommunikationsmitteln oder auf Social Media auszuprobieren. Finden Sie Kollegen und Kolleginnen, von denen Sie selbst begeistert sind, die für ihren Job brennen, die in irgendeiner Weise interessant sind und erzählen Sie von diesen. Je emotionaler und authentischer, umso besser. Testen Sie diese kleinen Stories und übertragen Sie dieses Format dann auf Ihre Kunden. So könnte ein erster Schritt aussehen, um Corporate Storyteller zu werden. Ganz so, wie Steve Clayton, Chief Storyteller bei Microsoft. Petra Sammer ist ausgewiesene Storytelling-Expertin. Die Kommunikationsberaterin mit eigenem Wikipedia-Eintrag, Buchautorin und TEDx-Talkerin zeigt, was zu beachten ist, damit Geschichten auch in der beruflichen Kommunikation funktionieren. Sei es im B2C-, B2B- oder B2B2C-Umfeld. Mehr: https://www.linkedin.com/in/petra-sammer/ Kontakt: Désirée Schubert, schubert@amc-forum.de, 0221 / 3985973.